Paulo Freire Gesellschaft Lern-Autonomie MV1999 - und unten: Von partizipativer Forschung und Denk-Fühlern, Fühl-Denkern

 
Paulo-Freire-Gesellschaft e.V.

PFG München 1999

Autonomia heißt das letzte Buch von Paulo Freire.

Seine Vorgabe, in der Begleitung des Lernens die Themen und Interessen der Lernenden in den Vordergrund zu stellen, ist in unseren normalen Lernstrukturen noch nicht angekommen.

Wir sind an Stoff-Lernen gewöhnt.
Wer Stoff verabreicht, macht süchtig.
Lern-Autonomie befreit von Konsum-Sucht.

Die Wirtschaft erwartet mehr Entscheidungsfähigkeit der Mitarbeitenden.

Die Schule bereitet auf nachkauen und Wiedergeben von Gesichertem vor.
Veränderung ist erst nach schmerzlichen Brüchen und unter Druck möglich.


Die Autonomen sind Radikale in der Konfrontation mit der Polizei (Beamte).
Autonomie ist Selbständigkeit. Lehrende sind Angestellte oder Beamte.
Es gibt zu wenig Selbständige, zu viele wollen Angestellte werden.


Unsere Berliner Gruppe hat sich seit einiger Zeit mit den (bisher nicht übersetzten) Texten Paulo Freires auseinandergesetzt und in Gesprächsrunden die Bedeutung für die Einzelne besprochen.
 
Eine solche Gesprächsrunde können wir am Freitag abend in der Form eines Fishpool erleben: Der Kreis unterhält sich in der Mitte des Raums, die Zuhörenden außen herum können über eine Modera­tion verdeutlichende Fragen stellen.

Für den Samstag wurden wir von der Theater-Sparte der Freire-Gesellschaft angefragt, das Thema Autonomie mit Boals Theatermethoden anschaulich zu machen.

Dafür gibt es morgens eine Aufwärmrunde zum Körperausdruck, eine kurze Einführung in die Metho­den Statuen- und Forum -Theater sowie eine kurze Erläuterung der Weiterentwicklung zum Legislativen Theater in Rio.
 
Gegen mittag und nachmittag gehen wir nach einer knappen persönlichen Fassung der „Autonomia“ in Kleingruppen, die unter Anleitung durch KollegInnen persönliche Statuen und gemeinsame Forum -Szenen entwickeln: 

„Warum wir in unserer Praxis an der Autonomie scheitern.“ 
 
Diese Szenen werden wir uns in einer öffentlichen Veranstaltung vorstellen und zusammen mit dem Publikum die verschiedenen Auswege und Reaktionsmöglichkeiten erarbeiten.
 
Am Sonntag wird die MV die Weiterarbeit der Gesellschaft an diesem Programm entwerfen.

Die Paulo-Freire-Gesellschaft ist ein Zusammenschluß von PädagogInnen, Lehrenden und MitarbeiterInnen im Sozialwesen, der regelmäßig Fortbildungen veranstaltet und die Zeitschrift für befreiende Pädagogik herausbringt. 

Wesentliche Impulse erhält unsere Gesellschaft aus der internationalen Zusammenarbeit mit Entwicklungs-, Alphabetisierungs- und Fortbildungs­einrichtungen.  

entwicklungsdienst theater - methoden in der PFG

 20 Jahre später: fritz-letsch.eineweltnetz.org/paulo-freire-1921-1997

Texte und Bilder in portugues: paulo-freire.blogspot.com 
 

Seminar zur Mitgliederversammlung der PFG Mai 1999:
Lern-Autonomie

nach einer kurzen Einführung zum Thema:

Vorstellungsrunde

Die Teilnehmenden und ihre Interessen am Thema

Ilse stellt den Hintergrund des Buches dar:

libros fallados: gesprochene Bücher

und leitet eine Übung an, zum Thema Autonomie zu sprechen, individuell einsteigen, in 10 Minuten eine eigene Kurve mit Lebensdaten zu malen:

wann hab ich mich wie in den einzelnen Institutionen gefühlt, eingeschränkt, frei, wo haben wir wichtige Momente zur Autonomie selber erfahren,

dann in Kleingruppen austauschen, generative Themen für morgen vorbereiten

Elemente aus persönlichen Autonomie-Biografien:

drei Linien: beruflich, große A., Tendenz steigend

politisch, innere, Gesundheit, schwere Krankheit, kurz vor positiv

Schule, Ausbildung, Studium, Beziehungen, Fesseln von mir geschmissen, mehrere Beziehungen ...

nur eine Linie, definiere mich über meine Arbeit, war angepasstes Kind, fühlte mich wohl, im Ausland als Gruppe, auf Menschen einlassen als angenommen fühlen,

89 abgerutscht, Boden verloren,

Linie / Mensch als Einheit mit verschiedenen Ebenen,

als ich anfing zu laufen, sprechen, kommunizieren, die Treppe heruntergelaufen,

Grundschule mit Diskriminierung, im konservativen moralischen Kontext, an staatl. Schule Freiheit, Universität mit Freiheit und Freire,

in Deutschland: ohne Sprache, Rassismus, kämpfen, schlimmer als in der Kindheit, weil das Wort fehlte, jetzt Entdeckung anderer A. , Gleichgewicht als Mensch in Arbeit, Uni, etc.

auch keine Linie, sondern Hin und Her, hadere mit dem Begriff, pos/ neg

beruflich viel mit Leiten zu tun, in Beziehung, zu Gruppe, Team, eingebunden sein,

politisch: Aspekt Geld, verhindert oder ermöglicht Autonomie.

Geld für Kriege verhindert Projekte hier, Angst, das politische Gesicht zu verlieren, Ziel nicht zu erreichen

steil rauf, freigekämpft, und wieder vereinnahmt werden, wieder ein Befreiungsschlag, körperliche Geschichte, einfache Körperarbeit gab unheimliche A.

Freiheit durch Integration des Körpers, Integration von Tod?

Aussöhnen und zur Beziehung finden, A. im Tod an der Grenze?

Auslandsaufenthalte, Fernweh, starker Druck, viel gelernt, Streik an ausländischer Uni,

Fremder dort zu sein, beruflich:Selbständigkeit als Kampf, den ich gewollt habe, ein Hoch, dann andere Abgründe, politisch: kleine Schritte, lllusionen und Demos, ohne Absprache, bis zur Resignation, ...

Ein afrikanisches Trommelkonzert rief uns zur Vorstellung der Arbeiten für die

Foto-Ausstellung zum Leben in afrikanischen Flüchtlingslagern:

Die Wanderausstellung “flüchtlingsbilder - flüchtlinge fotografieren, eine Ausstellung mit bildern aus ost-und westafrika (kenia, cote d’ivoire)” mit ca 130 bildern, umschrieben mit den Originalkommentaren, auf 14 großformatigen Tafeln 1,80 x 1,20) und 5 kleinformatigen Tafeln (0,60 x 1,20) zeigt das Leben in langjährigen Lagern aus der Sicht der BewohnerInnen. Sie ist über

philip klever, lokstedter weg 45, 20251 hamburg

oder till baumann, urbanstr. 119, 10967 berlin zu entleihen.

Das feine Bankett zum Gartenfest des Ausbildungsbetriebs in der Werkstatt der Kulturen und fachliche Diskussionen zur Flüchtlingsarbeit unter ca 50 ExpertInnen von PFG, UNHCR, Ausstellungsmachern und ihrem Umkreis zur Partizipativen Arbeit kontrastierten zwar heftig, gaben uns aber einen anregenden Rahmen für unseren ersten öffentlichen Auftritt in Berlin.

zusammenfassen der Themen für die Gruppenbildung am nächsten Tag

sich selbst ohne beruflichen Abschluss zu bestimmen, selbst definieren, das Etikett,

einzeln kleine Schritt gehen oder zusammentun, was ist damit heute?

meine Identifikation selbst zu finden, mich selbständig gefühlt, als mein Kind geboren wurde, unabhängig und Kraft, alle Unterdrückung zu bekämpfen.

negativ nach der Ent-bindung, will ihn noch in meinem Bauch haben, gelitten, A. ganz schrecklich,

Politik, ökonomische Einschränkungen, Angst, das Gesicht zu verlieren,

Institutionen, beruflich, Ort der A., Eingebunden sein, Kampf mit der Selbständigkeit

innere A. / in Beziehung, als Bindung

Es steckt Trotz dahinter, nicht immer positiv, gegen die anderen, nicht immer abhängig machen, Körperarbeit,

in Partnerschaft, mit Freunden, in der Gruppe, beruflich: Leiten, Führen,

mit Kindern: ->von Machtstrukturen zu Beziehungen zu kommen,

Workshop Samstag, 1. Mai in den Räumen der TU

ca 35 Teilnehmende,

Vormittag

Aufwärmen, von Fuß bis Kopf durch den Körper und seine Ausdrucksmöglichkeiten gehen,

mit PartnerIn die Grenzen der Beweglichkeit testen,

Statuen-Bau zu zweit, Bilder zu verhinderter Autonomie

in zwei Galerien zu besichtigen,

in Dreier-Gruppen: jemand nimmt mir die Autonomie,

Gruppenbildung aus ähnlichen Haltungen

Herkunft und politischer Hintergrund der Theater-Methoden, Weiterentwicklung zum Regenbogen der Wünsche und zum Legislativen Theater, Literatur,

gegen mittag:

Drei Gruppen mit je zwei Anleitenden, Entwicklung von Forum-Szenen und Rainbow-Elementen,

als Gruppen gemeinsam in die Mittagspause,

nachmittags

Themen in den Gruppen, Austausch, Vertiefung, Probentechniken, Szenen für die Aufführung:

abends:

Abendessen und öffentliche Aufführung im Kreativhaus Wollinerstrasse

Forum- und Statuen-Szenen zur Autonomie:

Rainbow-Elemente in Streit um Autonomie: Angst, Gewissen, Motivation und Utopie

Regel-Verordnung in der Wohngemeinschaft

Entscheidung zum Wochenende in der Familie

Rüstungs- und Börsenspekulation versus Friedensbemühungen

MV am Sonntag, 2. Mai in der TU

Blitzlicht

zufrieden mit der Veranstaltung und Organisation, öffentlichem Auftreten

Die Mitglieder in den Vordergrund bringen

als Zuschauer, wie viel jeder mitbringt, Fragestellungen und Austausch, auch zu Krieg etc.

Themen und Bilder zu gedrängt, Zeit zum Ausweiten fehlt noch

sehr gut getan, mit-trainern zu dürfen, Sache, die gut tut und funktioniert, gedrängt in einem Tag, intensive Auswertung fehlt, schön, dass wir einen öffentlichen Block hatten,

wie kann das noch mehr unter dem Stichpunkt sein: wie dient uns die PFG,

vielleicht schöner in einem der brandenburgischen Häuser,

teilweise sehr schön, teilweise angespannte Atmosphäre durch äussere Gegebenheiten, Energie in Sachen gesteckt, die in kurzer Zeit umgeschmissen wurden,

Teamen war nicht genügend abgesprochen, Tag sehr produktiv und intensiv

gespalten: Bogen zu unserer Gesellschaft noch nicht geschlagen, auch in widrigen Umständen sehr intensive Erlebnisse gehabt, nehm viel davon mit

schön, viele junge Gesichter, neue Menschen zu sehen,

Autonomie, sich nicht die Nachtfahrt anzutun, gute Entscheidung, schön, dann noch reinzukommen, wie gearbeitet wurde, war spannend, Tagungshaus? Finanzen?

bisschen viel, nicht mein Rhythmus, trotzdem positiv, auch freitag abend in das Fest reinzufallen, internationale Atmosphäre der Emigration in Keuzberg und die Ausstellung ,

zur Flüchtlingsfotografie war passend,

Gruppe war sehr intensiv, viel gelernt dabei, auch methodisch, abends dann zu müde, schade, daß ich bei der Auswertung nicht mehr dabei war,

Zusammenarbeit und öffnen nach außen, so stelle ich mir Freire-Arbeit vor,

vor-Erfahrungen von Boal verbessert und erweitert, Ortswechsel gar nicht so schlecht ... Berlin erleben war auch gewünscht, Atmosphäre im Kreativhaus so anregend,

Konzept am Freitag sehr angenehm, Vorstellungsteil und Ausstellung als passenden Punkt, Essen war ganz toll, schwierig zwischen Essen und Flüchtlingslager,

Kritik fällt mir schwer, ihr seid so anspruchsvoll und nicht realistisch, die Zeit ist kurz und wir können sie nutzen, tanzen, Musik und Gespräche, Theater war bisher immer theoretisch, hatte nie die Möglichkeit zu spielen, war ein tolles Erlebnis, möchte weitermachen mit der Gruppe, so scön verschieden Generationen, wohlfühlen und lernen

als Lehrerin mit Kindern Konfliktsituationen gespielt, ein schöner Ansatz, das Publikum aufzufordern, die Zusammenarbeit ganz positiv erlebt, die Auswertung nicht mehr erlebt ... was ihr so macht in der Gesellschaft, wie das in der Öffentlichkeit mehr bekanntzumachen ist, wäre sehr wichtig,

Bodensatzrunde

nach dem Gesagten noch Gedanken zur Verbesserung,

unsere Potentiale noch ernster nehmen, Ehrenamtlichkeit provoziert manchmal auch Ärger, viel Kraft auch verpufft, mehr wäre möglich gewesen,

Auftreten in der Stadt Berlin und in Kontakt mit den interessierten Einrichtungen, nicht zu abseits in einem Tagungshaus,

Berlin-Lebendigkeit und Wechsel, unsere Verbundenheit,wie wir mit anderen argumentieren, in Kontakt treten, für Nachwuchs: Projekte vorstellen, sich damit auseinandersetzen, wie wir mit anderen Leuten Bewusstseinsbildung entwickeln, in Projekten Zeit mit den Menschen zur Veränderung einbringen, fühle mich als Kind behandelt,nun als Erwachsen ...

Begegnung verändert Gesellschaft 

Die seit den 1970er-Jahren in Lateinamerika und vor allem in Kolumbien entwickelte inves-
tigación-acción participativa – partizipative Aktionsforschung – wurde maßgeblich durch den
kolumbianischen Soziologen Orlando Fals Borda geprägt und ist eng mit dem Ansatz der
befreienden Pädagogik von Paulo Freire verknüpft. 

Die partizipative Aktionsforschung verbindet empirische Sozialforschung mit einem emanzipatorischen Anspruch zugunsten der in einer Gesellschaft benachteiligten Gruppen. 

Sie wendet sich von traditionell vertikal geprägten Prozessen der empirischen Sozialforschung ab, bei denen die „Beforschten“ zwar beteiligt werden, dies jedoch nur im Rahmen eines Forschungsdesigns, das von den universitär eingebetteten Forscher*innen vorgegeben ist. 

Im Gegensatz hierzu bemüht sich die partizipative Aktionsforschung, diese Trennung zwischen Forschenden und Beforschten aufzuheben und die Entscheidung über Zielrichtung, Erkenntnisinteresse, Methoden und auch die Umsetzung der Forschung durch konsequente Beteiligung von Beginn an in die Hände der „Beforschten“ zu legen, die somit selbst zu Forschenden werden. 

In diesem Sinne zielt die partizipative Aktionsforschung darauf ab, die Situation einer bestimmten Gruppe nicht nur zu erforschen und zu erfassen, sondern dieser Gruppe durch den Forschungsprozess zugleich auch zu ermöglichen, direkte Veränderungen zur Verbesserung ihrer Lebenssituation anzustoßen sowie ein kritisches Verständnis dieser Lebenssituation im größeren Kontext der sie umgebenden Verhältnisse zu entwickeln. 

Dies impliziert auch einen kritischen Blick auf globale Machtverhältnisse und auf westlich-europäisch geprägte Vorstellungen von Wissen. In diesem Sinne gilt die partizipative Aktionsforschung als Teil einer wissenschaftlichen, pädagogischen und politischen Befreiungsbewegung in Lateinamerika. S. 33 ff

Denk-Fühler und Fühl-Denker

César Osorio Sánchez

Der Begriff „sentipensante“, eine Kombination aus den Worten „sentir“ (fühlen) und „pensar“ (denken), ist ein zentrales Konzept in Orlando Fals Bordas Schriften und in dem von ihm mitentwickelten Ansatz der partizipativen Aktionsforschung in Kolumbien und Lateinamerika. S. 36

  1. Beide Ansätze gehen davon aus, dass wir die Wirklichkeit als sujetos
    sentipensantes (5) – als Subjekte, bei denen Fühlen und Denken miteinander verbunden sind – wahrnehmen und verändern.
  2. Sie betrachten Bildung und Forschung als Ansätze für einen Kulturwandel.
  3. Sie versuchen, den jeweiligen Kontext ausgehend von den Erfahrungen und Kenntnissen der Akteur*innen zu erfassen.
  4. Sie fördern Vertrauen und pflegen Erfahrungsaustausch als eine Strategie für gemeinschaftliches Wirken.
  5. Sie greifen das alltägliche Leben als Lernraum neu auf.
  6. Sie streben eine Erinnerungsarbeit und den Aufbau eines kollektiven Gedächtnisses an, das auf Widerstand und Zukunftsvisionen beruht.

Friedensaufbau als ein umfassenderes Projekt zu begreifen, das Folgendes beinhaltet: die Garantie sozialer Rechte (etwa auf Bildung und Beschäftigung); die Nicht-Wiederholung schwerer Verbrechen gegenüber verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften; die Anerkennung politischer Diversität; die Achtung der Rechte von Frauen und von Personen verschiedener sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten sowie Praxen der Erinnerungsarbeit, die Ansätze für gesellschaftliche Veränderung aus der Vergangenheit sichtbar machen, welche aufgrund der Gewalt gescheitert sind. S. 40

 


 

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