Legislatives Theater zu Themen der Migration und Flucht - theaterpädagogische Fortbildung Juni ‘98 in Frankfurt
Legislatives Theater zu Themen der Migration und Flucht
Die theaterpädagogische
Fortbildung umfasste zwei Tage und eine Aufführung am 20. und
21. Juni ‘98 in Frankfurt
und beinhaltete vor allem ...
Zu heißen Themen in’s Spiel kommen
Den Körper und seinen Ausdruck in Übungen präsent machen -
Wanderung durch den ganzen Körper und seine Ausdrucksfähigkeit,
Bilder aus der interkulturellen Arbeit und ihren Hintergründen, Migration und Flucht
Statuen- und Bildertheater für die genauere Verständigung „unter Druck“
Stimmen hören und Gedanken lesen: Intra- Projektion als typische Methode für die soziale und gesellschaftliche Arbeitsrichtung des Theater der Unterdrückten;
- der Blick für den Dramatischen Punkt: Wo wird Veränderung möglich, Rollenwechsel,
- Ängste; Nachbesprechungen und gemeinsame Reflexion der Arbeitsweisen
Vom Statuen- zum Forum-Theater: Joker-Rolle & Veränderung
Die pädagogische Grundlinie und der Dialog mit dem Publikum in der Szene
Forum-Theater braucht konkrete Gestaltung eines Problems zur Veränderung
Proben-Techniken zur Vertiefung und Schärfung des Ausdrucks, Stimm-Konzert
Die weiteren Schritte zum Legislativen Theater
Politische Veränderung von der Bestandsaufnahme (Unrecht) bis zur Utopie (Beteiligung)
Tatsächliche und vorgebliche Dialoge unterscheiden und nach außen verdeutlichen
interkulturelle Kommunikation in neuen Formen und Ritualen gemeinsam gestalten
Legislatives Theater zu Themen der Migration und Flucht
Zur Situation der Flüchtlinge Theater spielen:
Sie sind nicht sichtbar, bis sie negativ auffallen: In der Menge, in den Schulen, in den Zeitungsberichten. Trotzdem kennen viele ihre Identitäten und Schicksale, arbeiten mit ihnen und haben beruflich über das Persönliche zu Schweigen: Wir können gemeinsam und in verallgemeinerter Form in Szenen setzen, was wir alltäglich erleben.
Das soll nicht nur unseren Alltag und seine Verarbeitung lockern: Es ist auch die oft vergessene und verdrängte Verantwortung der pädagogischen, sozialen und therapeutischen Berufe, nicht nur den Einzelnen zu helfen, sondern auch die Verantwortung im Gemeinwesen sichtbar zu machen und politische Veränderungen einzuleiten.
Dabei bringt uns das Spiel nicht nur neue Ideen, sondern auch tiefgründige Freude und Entspannung:
Kommen Sie. Beteiligen Sie sich. Politik kann, indem sie Spaß macht, noch ernster werden.1
Die Methoden im Einzelnen:
Statuen-und Bilder-Theater dienen dabei, wie schon die Aufwärm-Techniken, der Alfabetisierung unserer Sinne und Ausdrucksfähigkeiten, Forum-Theater soll den Dialog mit einem Publikum vorbereiten, das unsere Problemskizzen verändern kann.
Aufwärmen und Ausdrucksübungen im Kreis: Von Fuß bis Kopf ...
Führen mit der Hand / Gesicht: zu zweit, zu dritt, eine Satz dazu
Statuen bauen zu zweit, Galerie des Ausdrucks und Reaktionen auf die Statuen
Beziehungen: (15 Bilder zu dritt, entschlüsseln mit verschiedenen Methoden)
Gleichgültig geworden, Rücken an Rücken (wie viele Ehen in Deutschland: 80%, in der Türkei: 99 %, in Spanien: 100 %)
Mann-Frau-Streit gegenüberstehend (Finger / Hände): Stimmen der Engel und Teufel zu jeder Figur, Spielende lassen sie einzeln sprechen, spielen danach einzelne Anteile deutlicher -> wird später Probentechnik
Vater zieht sein am Boden auf allen Vieren kauerndes Kind am Ohr
Kirchenszene Firmung: nehmt von der Statue aus eine Haltung zur Kirche ein
beten: nebeneinander: wie entsteht eine Beziehung (heiliger Geist) untereinander
Statuen von innen:
verliebt mit 15 /16, Bewerbung um neuen Job, Personalchef bei Zu- oder Absage, fürchterlich müde, endlich aufhören
Geschichten für das Forum vorbereiten: Themenbereiche um Migration, Politik und Kommunikation, in Vierer-Gruppen erst erzählen, dann auswählen, als Bild vorstellen
Fabrik: am Fließband, Ärger um Geschwindigkeit und Fehler, Frage des Alters und der Leistungsfähigkeit, Konflikt - Bearbeitung durch Vorgesetzte oder Parteilichkeit, wie verändert motivierende Arbeitsanleitung den Alltag?
In der U-Bahn bei der Fahrkartenkontrolle: Kann der junge Ausländer auf meiner Monatskarte mitfahren? Wie vermittle ich das der Kontrolleurin und ihm gleichzeitig?
Sozialamt Frankfurt: Wie finde ich einen kostenlosen Dolmetscher oder wie organisieren wir unsere Selbsthilfe?
Beim Waschmaschinen-Kauf wird gegen Sozialhilfeberechtigte der Sozialneid geschürt, wie wehren sie sich dagegen, wo doch die Verkäufer die genauen Abrechnungsunterlagen kennen?
Ausblick auf Probentechniken und Legislatives Theater
Legislatives Theater ist die konsequente Anwendung der Forum-Techniken, die Umsetzung von Theater-Elementen und entsprechender politischer Methoden zu einem Thema. Was Augusto Boal mit dem CTO Rio2 für das Stadtratsmandat in Rio de Janeiro entwickelte, kann auch für unsere Situationen neue Ideen partizipativer Politik bringen.
Zwei Gruppen arbeiten an Themen:
Die Situation des neu eingeführten Visums für Kinder aus verschiedenen Bildern: Das Kind bekommt in der Schule ein Formular, die Mutter kann es nicht lesen, die Eltern treffen sich, die Frauen organisieren sich, zur Zielbestimmung soll ein Fest für den Erfolg entworfen werden.
Cubanische Impressionen für einen Freundschaftsabend: Wie können kritische Inhalte vermittelt werden, welche Innovationen für die Beziehung sind möglich, wie sieht das Fest der SchauspielerInnen nach dem Auftritt aus? Türkischer Tanz macht ein neues Flair:
Szenen dazwischen finden: Wie kommen wir tatsächlich zum Fest, welch Elemente sind uns wichtig?
Große Auswertungsrunde zum theaterpädagogischen Vorgehen und den Inhalten der Szenen, wie wir sie erinnern, Kritik an zeitlichem Druck, offenlegen methodisch manipulativer Anteile in der beschleunigten Szenengestaltung (die in der eigenen Arbeit der Gruppe zu vermeiden sind!)
Vorschlag: Gespräch zum Verlauf der Werkstatt und Problemen darin, Statuen, die anderen Paaren vorgestellt werden, Druck, zu viel, Ohren zu, keine wirkliche Kommunikation, zu starke Eingriffe in der Anleitung,
Drei Gruppen zu Forum: Unterdrückung
Im Wohnzimmer: Der Mann
Symbolszenen zu Grenzen, Last und Initiative
Im Gemeinderat: Internationales Kommunales Wahlrecht: Wie fordern / politisch verwirklichen
Beispiel des Legislativen Theaters in der Expertenanhörung zur Streichung des Sozialhilferechtes für geduldete Asylbewerber und MigrantInnen.
Methoden der befreienden Pädagogik (Arbeit mit den Schlüsselthemen der Teilnehmenden) und der Theaterarbeit wie die Joker-Rolle und gemeinsame Veränderung der Szenen können dabei exemplarisch erlebt und reflektiert werden.
Literatur:
boal, augusto: theater der unterdrückten, übungen und spiele für schauspieler und nicht-schauspieler, suhrkamp frankfurt / main 1989
boal, augusto: the rainbow of desire, the boal method of theatre and therapy, Routledge London/ New York 1995
Neuroth, Simone: Augusto Boals "Theater der Unterdrückten in der pädagogischen Praxis, Weinheim 1994
Ruping, Bernd (Hrsg.): "Gebraucht das Theater, Die Vorschläge von Augusto Boal: Erfahrungen, Varianten, Kritik" bei: Theaterpädagogisches Zentrum Lingen, Universitätsplatz 5-6. oder Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Küppelstein 34, Remscheid, 1991
Schulze, Heinz u.a.(Hg): Befreiung und Menschlichkeit, Texte zu Paulo Freire, AG SPAK München 1991
Spiel-Räume, ein Werkbuch zum Boal'schen "Theater der Unterdrückten" Arbeitsstelle Weltbilder, Agentur für interkulturelle Pädagogik Münster und Schulstelle der AG Bern: Münster/Bern 1993 (südstr. 71b, 48153 münster, 0251-72009 oder Schulstelle, monbijoustr. 31, ch-3001 bern
Videofilm: "Theater, wie im richtigen Leben!", zu beziehen über das INKOMM, Projektzentrum für interkulturelle Kommunikation der Arbeiterwohlfahrt, Landesverband Bayern, Haus der Jugendarbeit, München
Zeitschrift für befreiende Pädagogik der Paulo-Freire-Gesellschaft, Heft zum Theater der Unterdrückten: Es braucht Mut, glücklich zu sein!
Zimmermann, Hannelore (Hg): Kulturen des Lernens, Bildung im Wertewandel, talheim 1995
Autonome A.F.R.I.K.A-Gruppe: Handbuch der Kommunikationsguerilla, Hamburg / Göttingen 1997
Freire, Paulo: Pädagogik der Unterdrückten, rororo TB Hamburg 1973
faltin, günter, jürgen zimmer: reichtum von unten, die neuen chancen der kleinen, aufbau berlin 1995
Chomsky, Noam: Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung, Medien, Demokratie und die Fabrikation von Konsens, Hg. von Mark Achbar, Marino und Trotzdem Verlag, München und Grafenau 1996 (auch als video)
Feldenkrais, Moshe: Das starke Selbst, Anleitung zur Spontaneität, Frankfurt 1989
Goffmann, Erving: Wir alle spielen Theater, Die Selbstdarstellung im Alltag, München 1969 und 1983,
Grof, Stanislav und Christina: Spirituelle Krisen, Chancen der Selbstfindung, München 1990
Honens, Gisela und Rita Willerding: Praxisbuch feministische Theaterpädagogik, Frankfurt 1992
Jungk, Robert und Norbert Müllert: Zukunftswerkstatt, TB,
Korrespondenzen Zeitschrift für Theaterpädagogik über Prof. Gerd Koch an der Alice-Salomon-FHS, Berlin (8.-)
Rebillot, Paul: The Call to Adventure, Bringing the Hero’s Journey to a Daily Life, New York 1993 nun auch in deutsch bei Kösel
1 Augusto Boal’s Einladung zum Teatro Legislativo: Bisher nur in portugiesisch erschienen, in englisch in Vorbereitung
2 Centro Teatro Oprimido Rio de Janeiro, ausführliches Konzept auf meiner homepage http://wiki.eineweltnetz.org
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