Fritz Letsch: Traum - Trauma und Drama – und der kleine Unterschied: Unterstützung der selbstheilenden Kräfte in gemeinsamer Theaterarbeit
Traum - Trauma und Drama –
und der kleine Unterschied
in gemeinsamer Theaterarbeit
Abschlussarbeit zur Weiterbildung Praxis und Supervision im AKG 2005
aktualisiert und überarbeitet zuletzt August 2025
Arbeitskreis Kritische Gestalt München
Behinderung
Im Schnittpunkt der durch mich zirkulierenden Ideen
stehe ich für mich im Dunkeln
Ich kann mich nicht sehen
Für alle anderen stehe ich gut beleuchtet
und lade zu Ansichten ein
ich bin darauf angewiesen
Ich stehle die Ansichten von mir
die meine Zensurbehörde zuläßt
Ich verberge die dunklen Ansichten von mir
vor mir und den ändern:
Ich schreibe
Ich nenne das Wahrheitsfindung
Heinar Kipphardt
Traum
eine erinnerung, die zuzuordnen ist,
auch ein wunsch, ein wachtraum ...
Trauma
eine erfahrung, die nicht zu verarbeiten war,
die nicht zum bisherigen leben passte, es aus der bahn warf,
Drama
die szenische erinnerung in einer vertrauten werkstatt-gruppe,
die eine erste stufe der vor-öffentlichen darstellung ist, ein „mehr“ vorbereitet ...
und der kleine Unterschied
kann ein erleben sein, das scheinbar nicht sein darf,
von scham oder schrecken, schmerz oder bedrohung belastet ist. stagnation.
der weitere weg von der tief sitzenden scham bis zur halböffentlichen oder gar öffentlichen und dann auch zur politischen aktion gibt die nachhaltige sicherheit in der eigenen integration und in der gesellschaftlichen veränderung, die eben-so not-wendig ist.
zum Trauma
"Auch bei Kindern mit ADS- Diagnose wird mittlerweile diskutiert,
wie viele eventuell eigentlich Trauma-Klienten sind."
http://www.traumatherapie.de/users/breitenbach/hydra.html
Ich war ein unruhiges Kind.
Zeitweise schwer verprügelt,
und sehr oft fühlte ich mich missverstanden, wollte abhauen,
lag nach ungerecht empfundenen Strafen zornig heulend auf meinem Bett.
Längere Zeiten meiner Schuljahre habe ich lange Zeit gründlich verdrängt.
Den erschreckenden und einengenden Erfahrungen bin ich nicht erlegen.
Nur noch manchmal akut in Lähmungen spüre ich Anteile der Resignation.
Bis ich sie bewusst hinter mir lassen kann.
Das Trauma des rechthaberischen, schwer zugänglichen Vaters
blieb durch das weitere Schweigen der Mutter
auch nach seinem Tod im Haus hängen.
Ich quälte mich all die Jahre, sie zu besuchen,
obwohl es mir nicht möglich war, wirklichen Kontakt aufzunehmen,
auch meine Versuche, an Teilen der früheren Zeit Klarheit zu finden, scheiterten.
So schwebte mein Vater immer noch um mich, wenn Autoritäten drohten.
Wie Rektor Burger, der mal vor Jahren in Case Carli in der Gestalt-Ausbildung einen Auftritt hatte.
Den ich dabei aber noch nicht los wurde.
Ein Gefühl wie heil-los, unheilbar,
wie es wohl auch Therapie-Abbrecher beschleichen muss,
die ich bisher kennengelernt hatte: Austherapiert. Unrettbar.
Die massive Verweigerung kenne ich nun schon auch zur Genüge,
wenn die Kraft des Trauma stärker scheint als die der Träume.
Weit entfernt erscheinen die Energien,
die mein Leben im Widerstand gegen Militarismus, Rüstung, Atomwirtschaft geprägt hatten.
So weit wie die Bewegungen, Gruppen und Szenen der damaligen Arbeit: Demos und Kundgebungen, Widerstandscamps und Kasernenblockaden, auch mit Bekannten wie Sölle, Jens, Jungk und den Böll, Menschenkette, Zukunftswerkstätten: Nicht nur Nostalgie, auch Stolz und eine Sehnsucht schwingen mit: Wie kamen wir zu dieser Entschiedenheit, Sicherheit?
Wie kam ich überhaupt zu meiner Energie?
Oft war sie anderen zu viel,
jetzt ist sie mir zu wenig.
Die Hälfte des Lebens
ging mir die letzten Jahre schon öfters herbstlich durchs Gemüt, und ich liebe es:
Mit gelben Birnen
und mit Rosen voll
hängt das Land in den See.
Ihr holden Schwäne,
und trunken von Küssen
taucht ihr das Haupt
ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn es Winter
die Blumen, und den Sonnenschein,
und Schatten der Erde?
Die Mauern stehen sprachlos und kalt,
im Winde Klirren die Fahnen.
FRIEDRICH HÖLDERLIN
Ich war schon dabei, mich darauf einzustellen, (midlife-Krisis, beginnendes Alter ...)
als mich an jenem Januarabend 2004 das Taxi vom Fahrrad warf. Schon seh ich Inga's Stirnkräuseln „Jetzt fängt er wieder mit seinem Unfall an...“
Es war das Ende der vermeintlichen Sicherheiten, Zuverlässigkeiten, aber auch das Ende der alten Widerstände:
In der Lehrtherapie bei Elisabeth war ich auf das Bild gekommen:
Der alte Seeräuber, schiffbrüchig, geklammert an Planken und Kisten,
sehnt sich plötzlich nach Ruhe und Strand ...
... den wir geschworen hatten, nie mehr zu betreten.
Oder war das nur ich selbst gewesen,
der nie mehr heim zum Vater wollte,
nie ein Leben in einer Gruft vorwurfsvoller Ehe?
Der Traum vom besseren Leben der alternativen Gemeinschaften lebt noch in einigen Freundeskreisen, ein 60. Geburtstag, den wir grade vorbereiten, doch ist mir meine eigene Rolle darin grade sehr fragil.
Ich sorgte immer für Verbindungen und Zusammenhalt, (Confluenza),
jetzt ist mir eher nach Klarheit und Ehrlichkeit.
Meine Anstrengungen, oft so sinnlos geworden, zu lassen, (vor allem wenn mir die Wetterwechsel jede Konzentration und Lust nahmen) und den leichteren Spuren nachzugehen, mich vom Wind treiben zu lassen, oder von Aufträgen wie jenem von Yad Vashem ...
Das Ende der Widerstände: Erschöpfung und Orientierungslosigkeit. Gestalttherapeut?
Ein weiteres Angebot bringt mich ins Wackeln:
Theaterpädagogische Projekte im Stadtteil organisieren, eine (halbe?) Stelle ab Sommer 2006, wenn die Anträge klappen, von ein paar Kollegen für mich organisiert ...
Fast nebenbei entstehen weitere neue Projekte:
„Eine Speakers Corner für München“ steht in der Zeitung, ohne dass ich dafür gesorgt hätte,
grenzt sich von tumben „jetzt red I“ allmählich klarer ab,
debattieren als demokratischer Prozess ...
wie die Dialoge in der Umsetzung des Legislativen Theater.
Noch eine tiefere Spur aufnehmen:
Ein Teil des Trauma meiner Kindheit war auch das Leben im Stil der 1940er Jahre, das unsere Eltern in den 50ern und 60ern im kleinen neu gebauten Hause führten:
Selber fremd, zugezogen in der Stadt und in der Angst vor den Augen der Nachbarn, aber auch vor alten Nazis, die sich schnell wieder etabliert hatten, und der eigenen verborgenen Mitläufergeschichte, prägten sie uns ihre Angst ein: „Erzähle nie bei Anderen von Zuhause“, „nimm nichts zu essen an,“ „bring nicht diese und jene (Mitschüler unterer Klasse) nach Hause“ ...
Ihre Erfahrungen, den Krieg und die Angst mit großer Mühe, mit verlorenem Fuß und mit bleibender Behinderung überstanden zu haben, prägten sie uns ein.
Im Kinderzimmer des neuen Häuschens, bescheiden klein wie die Volkssiedlungshäuschen des "3. Reiches, hingen über unseren Kinderbetten jahrelang die großen Bilder der beiden gefallenen Brüder von Vater und Mutter. Mein älterer Bruder bekam die Vornamen der Beiden: Franz und Michael. Beim 80. Geburtstag unserer Mutter plauderte eine Tante, dass Michael der wildeste Nazi im Dorf war ... war bei uns strengstens verschwiegen worden.
Ich dagegen heiße Friedrich Georg: Vaters und seines Vaters Vornamen. Das Thema wurde mir auch in der Lehrtherapie klar: Die Beiden hatten ein Nicht-Verhältnis, keinen wirklichen Kontakt mehr, nach irgendwelchen Konflikten und Strafen, unser Vater hatte nur unterwürfigen Respekt gegen seinen Vater:
Großvater, Georg Letsch, Zimmermann, wusste schon früh: „Wenn Hitler kommt, gibts Krieg!“ Unser Vater, Jahrgang 1918, Schreinergeselle, schwärmte vom Reichsarbeitsdienst. Als er 1941 bei Minsk oder Smolensk seinen Fuß verlor, begann er sich dafür zu schämen, so „dafür“ egal, ob sein Vater etwas sagte ... (wie: Das hast du nun davon!)
Erst später fand meine Bruder das Foto mit Hakenkreuz-Fahne am Haus, das Großvater hoch am Rande der schwäbischen Alb über das Dorf genaut hatte: Bruchsteine aus dem Berg, den Keller hinein geschlagen, darüber ein selbst gezimmertes Holzhaus.
Im Schweigen blieb unser Vater ein zorniger Hitlerjunge, prügelte in uns seinen eigenen Ärger hinein (und seine Phantom-Schmerzen bei Föhn), und Mutter gab ihr „das verstehst du noch nicht“ dazu, und zum Trost und zur Ablenkung etwas zu essen.
Früher hatte ich immer gesagt, ich hatte eine glückliche Kindheit. Insgesamt. Ich war ja auch immer erfolgreich ausgewichen, mit oft guten Noten durchgekommen, bis auf die paar Engstellen in der Schule ...
Nachdem beide Eltern nun schon einige Jahre tot sind, holte mir mein Unfall, ein Schädel-Hirn-Trauma, eine neue Wetterfühligkeit, hoffnungslos, wenn Tiefdruck aufzieht, die alten Muster von Abwertung und Selbst-Abwertung, von Unsicherheit und Widerstand ins Bewusstsein zurück:
Meine vermeintliche Sicherheit war voll wütender Energie gewesen, es anders, besser zu machen ...
... nicht einfach nur zu sein, zu genießen, wie diesen Oktobertag am Monopteros, und der schwierigen Frage, ob ich dies nun alles tippen oder einfach nur kopieren soll?
Eine gute Herausforderung, an das Trauma der alten Zeiten zu gehen, bekam ich von Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Israel: Die Akten im Staatsarchiv nach jüdischer Verfolgung durch zu schauen, bringt mich an machen Tagen in das Gefühl der 40er-jahre zurück: Angst und Herrschaft, Willkür und Übergriff: Schon der Schatten davon war schrecklich, und eine neue Aufgabe wird mir sichtbar:
Senioren durch die auftauchenden Alpträume ihrer Vergangenheiten in einer Gruppe begleiten?
Die Angst und die Scham sind groß ... entsprechend meinen Erfahrungen?
Wo beginnt das Trauma, wo endet es?
In der Literatur brachte mich das Stichwort Trauma gleich zu Borderline, und ich blieb erst mal stecken. Erst die Thematik „Sicherheiten schaffen“ brachte mich wieder aus den Diagnose und Selbst- Diagnose-Gedanken:
Im Sorgen für meine Sicherheiten war ich sehr nachlässig und schwach geworden. Zu viel in der Sorge für Andere und oft für das (manchmal wohl sehr illusorische) Gemeinsame orientiert, hatte ich meine Reserven verbraucht, nicht für meine eigene Nachhaltigkeit gesorgt. Falsche Bescheidenheit ...
zwei Tage später
einen Hügel weiter ...
sonntägliches Treiben unter dem Monopteros, ein Bild wie bei Breughel.
Direkt zu meinen Füßen hat sich ein nettes schwules Paar niedergelassen, ihr leises Reden und vorsichtiges Umgehen kontrastiert mit den Kinder ermahnenden und quasseligen Frauenstimmen rundum ...
Figur und Hintergrund, Brigittes Arbeit um die Dudelsack-Zicklein weckte meine Aufmerksamkeit.
Eine Touristengruppe überflutet unseren Hügel. Ein lautes nachbarliches Handy-Telefonat stört meine Konzentration.
Im Walde.
Der Hirsch.
Du edles Wild.
Aber in Hütten wohnet der Mensch,
und hüllet sich ein ins verschämte Gewand,
denn inniger ist's, achtsamer auch
und dass er bewahre den Geist,
wie die Priesterin die himmlische Flamme,
dies ist sein Verstand.
wieder ein Hölderlin-Fragment.
wer der folter erlag,
kann nicht mehr heimisch werden in der welt.
wer ihr nicht erlag, hat einen schweren rückweg,
wieder heimisch zu werden unter den menschen.
die traumata meiner elterngeneration,
zwischen angst und drill des dritten reiches,
unter kriegsangst und in der scham der zeit danach ...
... kamen bei mir in einer verdeckten scham nur sehr schwer ans licht,
weil ich in all den jahren meiner selbsterfahrung zwischen jugend- und gemeindearbeit,
schauspielausbildung und theaterpädagogik selbst viel mit-verarbeitet,
aber meine eigene belastende thematik verdrängt und verkapselt hatte.
... kommen bei vielen alten menschen in schweren träumen zum vorschein.
dazu will ich am ende in einer konzeption kommen, um meine gestalt-arbeit anzusetzen.
Sicherheiten schaffen
als Grundlage für eine Rückkehr in die erwachsene Haltung, seine Umwelt gestalten und verändern zu können ... die kindliche Art, das Opfer der Umstände,
der elterlichen und schulischen Steuerung zu sein,
bewusst wieder verlassen zu können.
Der Blick auf meine eigene Wirklichkeit
- meine damalige, jene verdrängte 4. Klasse,
aber auch all die Kränkungen der anderen Schuljahre
- die heutige Schulsituation, mit der ich in Projekten und Ideen
und in der Vorbereitung von Lehrerfortbildungen konfrontiert bin
ist von vielen Emotionen geprägt, die einer ruhigen Bestandsaufnahme widersprechen.
Der kleine Fritz, 6 -7- 8- 9 Jahre alt, schon unkonzentriert, ein kleiner Floh, die Fahrt zur Heilpraktiker-Nonne in Haag, besondere, beim Apotheker speziell für mich vorbereitete „Kalktabletten“, die ich nie nehmen wollte, was meiner Mutter aber immer sehr wichtig war:
Darin Beruhigungsmittel, was meine Mutter später immer noch bestritt,
damals wurde ich dick, zu schwerfällig für Fussball ...
gibt es den hippeligen immer noch in mir?
Dieser Text hier scheint es zu beweisen.
Der unruhige Kleine hatte schon das Trauma des zuweilend zornig heulenden, misshandelten,
der dann den Kontakt mit dem zeitweise liebevollen Vater verweigerte, vermied, fürchtete:
„Wer mich so schlägt, dem trau ich nie mehr!"
Der liebt mich nicht – den lieb ich auch nie mehr! Ich verzeihe nicht mehr.
Sofort meldet sich mein selbstgebasteltes religionspädagogisches Gewissen:
Das darfst du nicht!
Du sollst deine Feinde lieben, Vater und Mutter ehren, umkehren ins Vaterhaus ...
Ich habe meines Vaters Fremdheit zu seinem Vater übernommen.
Meine Jugendfreunde hatten Väter mit zwei Beinen, die mit ihnen spielten und scherzten,
um die ich sie beneidete.
Sicherheiten
hatte ich erst wieder gefunden, als ich allmählich den Druck abbauen konnte:
Alle Situationen von Autorität, Leistung und Unterricht bauten mir den Druck wieder auf, in Gruppen und Seminaren ist es meine Hauptbeschäftigung, diesen Druck auch für die Teilnehmenden so weit abzubauen, dass sie ihre persönlichen Themen einbringen können.
In meiner eigenen Therapie löste sich der Druck um die Augen (die alten Nebel der Angst) ganz allmählich und die Spannung, mich mit diesem festgesetzten Bild meines Vates und meiner damit manipulativ agierenden Mutter auseinander-zu-setzen und zu meinen Fähigkeiten und Kräften zurückzufinden.
Trauma und Widerstand
Mein Körper entwickelte Panik
Früher waren es Nebel, die vor meine Augen kamen, die meine Wahrnehmung einschränkten, später entdeckte ich, wie sie kamen: Anspannungen um die Augen, Verspannungen ... und lieber das Thema wechseln. Die Annäherung kommt dann trotzdem wieder ...
Grenzen im Seniorentheater
Seit drei Jahren begleitete ich eine Seniorentheater-Gruppe, die schon länger besteht, gerne Sketche aufführt, früher aber auch anspruchsvolle Stücke aufgeführt hat. Nun werden manche schon sehr alt, lernen geht schwerer, eigenes könnte in den Vordergrund kommen.
Sie verweigern sich allerdings mehrheitlich, Themen von Krieg und Nachkrieg auf die Bühne zu bringen, die eine Teilnehmerin in Gedichtform einbringt, und in den Gesprächen zeigt sich regelmässig, dass sie über die klagenden Sprüche über die schlechten Zeiten nicht hinauswollen, alles mit „Gottseidank ist es schon lang vorbei“ wegschieben.
Die Räuber von Menzing sind ein Ansatz, aus den beteiligten Personen eine Geschichte zu gestalten, die mit ihren Temperamenten zu tun hat. (-> Kommt am Ende nochmal)
Aus Katastrophen kann man schlecht lernen
Überstanden, weitermachen, am allerliebsten genau so wie vorher. Genau so reagierte ich nach meinem Unfall, freute mich über alles, was wieder genau so ging wie vorher, und verzweifelte, wenn es wieder nicht so war: Meine schlecht entwickelten Arbeitsweisen ohne richtige Reflexionszeiten und die allgemeinen Auftragskrisen (auch aller KollegInnen) hatte ich mit etwas mehr Ruhe und der Gestalt-Ausbildung etwas ausgeglichen, und nur langsam komme ich dem nach, was ich in all den Jahren zwar angehäuft, aber nicht durchgearbeitet hatte: Bekanntschaften, Erlebnisse, Fotos, Tagungsberichte ... drum sammle ich auf meinen Internetseiten derzeit noch an, was ich dokumentiert haben will, um es dann demnächst in eine bessere Form zu bringen.
Doch aus der Katastrophe gelernt?
Gestaltpädagogik?
Das war eine Idee, zwischen meinem eigenen Erleben, meinem alten Beruf und der Gestalt meine eigenen Weg zu finden.
Inzwischen bin ich an dem Punkt wieder sehr skeptisch geworden: In diesen Schulen geht das nicht, ist es nur Augenwischerei. Mein Gefühl bei den Anträgen für Schülerprojekte ist auch noch sehr zweifelnd:
Ich hab zwar hervorragende Ideen, Schüler auf den Übergang zum Beruf vorzubereiten, aber alles, was mit Aufsichtspflicht und Zwang zu tun hat, raubt mir sofort Energie und Zuversicht. Und die Verwaltung bremst auf ihre Art ...
Bewusstseinsbildung bei Augusto Boal, Paulo Freire, Paul Goodman
als Spurensuche auf den Seiten der Paulo-Freire-Gesellschaft* begonnen (Zitate)und als Artikel zu den Methoden in "Die Verwandtschaft von Gestalttherapie und Forumtheater" ausgeführt
Bewusstseinsbildung wird in der pädagogischen Arbeit nach Paulo Freire, der auch Augusto Boal mit Theater-Methoden folgt, jener Vorgang genannt, der Beteiligten ihre eigene Situation so durchsichtig und klar werden lässt, dass sie dabei auch ihre eigenen Möglichkeiten der Beteiligung und somit auch der Veränderung erkennen können.
Die Vorgehensweise entspricht zumindest in den Zielen der Gestalt-Arbeit: Ein sich Selbst-bewusstes Individuum in der Breite der Auswahl seiner Handlungsmöglichkeiten zu unterstützen. Wie weit sich die einzelnen Begriffe und Methoden unterscheiden, habe ich in der obigen Arbeit für die wichtigsten mir nun bekannten Grundlinien gegenübergestellt.
Der Traum von einer gleichberechtigten demokratischen Gesellschaft ist noch gar nicht so alt: Paulo Freire ist noch in extremem Hunger des armen Nordosten Brasiliens unter Grossgrundbesitzern aufgewachsen, Augusto Boal hat in seinen jungen Jahren ebenfalls gegen die Zensur der Militärdiktatur Brasilien gekämpft, bis er durch Folter und europäisches Exil gegangen, der Demokratisierung seines Landes durch eine neue Methode, das Legislative Theater als Ratsherr der Stadt Rio de Janeiro wieder einen neuen Impuls geben konnte.
Paulo Freire
Die demokratischen Ansätze unserer Lande waren in den Sozialistengesetzen des Kaiserreiches noch schwer verfolgt, nach den Revolutionen und Räterepubliken 1918/ 19 gleich wieder, und in den Auseinandersetzungen der Weimarer Republik schon wieder gefährdet,
die vielen kooperativen Projekte und Schulmodelle, in Arbeiter-Organisationen und bündischer Jugend, in Genossenschaften, Selbsthilfe und Selbstorganisation von Gemeinden, Internaten, Sportgruppen und im selbst demokratisch organisierten Wandervogel wurden in und nach der Machtübernahme gleichgeschaltet, zum Bund Deutscher Mädel und zur Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst etc.
Paul Goodman kritisiert in seinen Schriften die Situation der USA nach der Mc Carthy- Zeit des Antikommunismus und der ürgerlichen Anpassung. Frederick und Laura Perls waren in die USA gekommen, auch weil sie die Artikel des umtriebigen Goodman angesprochen hatten. Er war schon in den 40er Jahren ein scharfer Gesellschaftskritiker, und sein 60er-Jahre-Buch "Growing up absurd" ('Aufwachsen im Widerspruch' triffts nicht so genau) brilliert mit Analysen, die heute noch griffig auch auf unsere Situation, unser Schulsystem und Aufwachsen passen.
gestalt.eineweltnetz.org/doku.php?id=paul_goodman
Growing up absurd
Paul Goodman ist mir in manchen seiner Bücher und Gedanken ein spannender Begleiter geworden, drum hier zwei kurze Buchhinweise:
„Growing up absurd“ heisst in deutsch aufwachsen im widerspruch, über die entfremdung der jugend in der verwalteten welt, verlag darmstädter blätter:
Goodmans Gesellschaftkritik und seine Kritik des staatlichen Schulsystems stammt zwar aus den 60er Jahren, ist aber in seiner Radikalität (bis an die Wurzeln denken können) bis heute aktuell: Erst wenn wir begreifen, dass alle Strukturen der Bevormundung grundlegend unmenschlich sind, finden wir auch den klaren Blick auf die Möglichkeiten des Lernens in der Autonomie:
Gestaltkritik
Stefan Blankertz stellt in seinem Buch „Gestaltkritik“ zusammen, was Paul Goodmans Rolle innerhalb der ersten Gestalt-Definition war, als Fritz und Laura Perls und Hefferlein die erste Definition von Gestalt Therapy (Exitement and Growth in the Human Personaliy) formulierten.
Der für mich wichtigste Absatz darin:
„Es ist demnach nicht "Gestaltpädagogik" im Sinne Goodmans, bestimmte psychotherapeutische oder pädagogische Methoden unter der Bedingung der staatlichen Monopolschule zu verwirklichen. ... Nur daß wir es eigentlich besser wissen könnten: Das Scheitern der Reformpädagogen gewänne Dignität, wenn wir heute unsere Schlüsse daraus zögen.
In 5: Gestaltpädagogik - Austreibung der Sozialkritik aus der Gestalttherapie
“An keinem Punkt der produktiven Aneignung gestalttherapeutischer Ansätze wird die Frage nach Bestätigung durch das Opfer so bedeutsam wie in der Gestaltpädagogik.
Nach Olaf-Axel Burows "Grundlagen der Gestaltpädagogik" (1988) findet der "systemtranszendierende Aspekt" von Goodmans "theoretischen Konzepten" in der Gestaltpädagogik "bisher kaum Beachtung" (S. 239).
Dies könnte mehr als eine Unterlassungssünde sein. Denn er selbst erwähnt zwar diesen Aspekt, vermittelt ihn aber nicht zu den unterrichtsbezogenen Ausführungen, die wohl den Kembestand der Gestaltpädagogik ausmachen.“
Will die Schulpädagogik das Bildungswesen von sachfremden Bestimmungsfaktoren befreien, muß sie dessen Herauslösung aus der staatlichen Finanzierung und Organisation betreiben.
Denn die staatliche Finanzierung und Organisation des Bildungswesens macht die Schule zum Instrument der Ausbeutung und Auslese im Interesse der den Staat beherrschenden Sozialschichten.
Stefan Blankertz: „Gestaltkritik“ Paul Goodmans Sozialpathologie in Therapie und Schule,
Edition Humanistische Psychologie, Köln 1990
meine KONZEPTionen
die meisten unserer generation sind der meinung, zu den persönlichen erfahrungen gäbe es keine hilfe.
sie haben gelernt, alles schwere allein durchzustehen, voller scham.
ich hatte es auch gelernt, mit meinen ängsten und sorgen allein zu sein
und konnte es nur in manchen kleinen schritten ver-lernen.
jetzt kommt die frage, wie andere dazu einzuladen sind,
ihre alpträume und sorgen nicht nur alleine zu ertragen,
sondern zu teilen, um sie gemeinsam zu bewältigen.
Wie komme ich nun zu einer tragfähigen Konzeption?
Der erste Schritt ist die weitergehende Reflexion: So wie ich in meinem Ketzerbrevier meine Kindheit und Jugend bis zur frühen Berufstätigkeit überflogen hatte, reift allmählich die Fassung meiner gut 20 Jahre theaterpädagogischer Arbeit, einschließlich der vielen verschiedenen Zukunftswerkstätten, die mit allen ihren Träumen in manchen Papieren, zum Teil aber auch nur in der Erinnerung zu finden sind:
Von den Projekten in der DDR vor den Wende gibt es nur Stasi-Unterlagen, da wir damals in der Geheim-Haltung fast jede schriftliche Aufzeichnung vermieden hatten.
Der zweite Schritt ist die Reflexion der Heldenreisen-Ausbildung und meine auch manchmal skeptische Haltung dazu, weil ich einerseits die Rituale für sehr wichtig halte, sie auf der anderen Seite nie für mich selbst weiterentwickelt habe.
Der dritte Schritt ist die kritische Überarbeitung meiner AKG-Erfahrungen: Ich hatte mir durch den eigenen Stress, „es gut machen“ zu wollen, manches erschwert .. oder verhindert.
Reflexionsfähigkeit und Entwicklung von Heilung
"Denn das geschwächte und der Realität immer hörigere Bewusstsein
verliert mittlerweile die Fähigkeit, jene Anspannung der Reflexion zu leisten,
die ein Begriff von Wahrheit fordert,
der nicht dinghaft und abstrakt der bloßen Subjektivität gegenübersteht,
sondern sich entfaltet durch Kritik, kraft der wechselseitigen Vermittlung von Subjekt und Objekt."
Adorno, Gesammelte Schriften 10.II, S. 583
In meiner Neben-Rolle im Vorstand des Selbsthilfezentrum erlebe ich:
Für eine Heilung braucht es positive Phantasie,
unser Gesundheitswesen bietet nur noch Behandlung.
In der Zwischenzeit werden auch die Behandler krank,
ihre Arbeitsbedingungen gehen in der Vermarktung unter.
Die Reflexion bleibt auf der Strecke,
auch die Ärzteverbände werden unheilbar.
Bleibt den Kranken, sich dieser Medizin zu enthalten,
und ihre Hoffnungen auf andere Wege zu richten.
Wie kommen wir zu einer neuen Entfaltung der Kritik,
bevor alle in die esoterischen Felder entweichen?
Forschendes Lernen
In der Gruppe die persönlichen „Druckstellen“ als Bilder einbringen, dann die gemeinsamen Themen definieren und in Forum-Szenen die notwendigen und verschiedenen möglichen Schritte am Besten zuerst in gemeinsamer verdichtender Probe, dann auch zusammen mit einem öffentlich eingeladenen Publikum
Ästhetik der Unterdrückten
Bevor wir locker an unsere wirklichen Themen kommen, ist es manchmal erst nötig, die falschen Mythen und Sprüche, die scheinbaren Lebensweisheiten und Erklärungen der Werbung, auch die bei uns Introjekte genannten Anteile, aufzudecken, ihre jeweiligen Absichten und Zwecke wahrzunehmen und die eigene Wahrheit zu definieren.
Für die Kommunikation mit anderen brauchen wir die bewusste Reflexion dieses Prozesses, damit er auch für andere nachvollziehbar wird. Die Ästhetik der Unterdrückten sammelt den Schrott und führt ihn der öffentlichen Wiederverwertung zu ...
Können wir in der Gestaltarbeit entsprechende „Schrottsammlungen“ als krankmachende Gegenbilder von Angst und Erziehung, Drogen und Sucht, Tretmühlen und Zinssystemen benennen und damit gesellschaftlich Stellung beziehen?
In Bildern kommunizieren
Die Theater-Methoden erziehen zu einem kommunizieren in Bildern und erlebten Beispielen, um Veränderung an der real erlebten Situation zu erproben.
Stücke zu unserer Wirklichkeit
Die Räuber von Menzing mit meiner Seniorentheatergruppe im ASZ Allach Untermenzing, spielt, was sich zwischen Wald und Stadt zutragen kann, wenn die Räuberei zu wenig bringt und Hartz IV?
Der 86-jährige Räuberhauptmann (anerkannter Architekt) mit schmusender Räuberbraut, die nicht zu vermitteln ist ("dann gehe ich in meinen alten Beruf, es gibt ja auch ältere Freier?") - eigener Text der eleganten Seniorin!
Der gutbürgerlichen Gruppe ein anderes Ambiente zuzuschreiben, das ihr neue Spielfreude geben kann, ist eine äussertst belebende Arbeitsweise ... "und am 23.Januar 2006 nachmittags um 3 in der Erlöserkirche an der Münchner Freiheit gibt’s die Faschingsversion! Wir finden dabei auf jeden Fall ein gutes Ende, das hier aber nicht verraten wird. Auch nicht die biografischen Hintergründe ... Weitere Aufführungen sind noch möglich."
Dann aber nicht mehr, als wir den Räuberhauptmann kurz nach der Verstellung betrauern mussten ...
Die Nürnberger Prozesse für ein Kunstfestival in Harare inszenieren?
Ein Beispiel: Für das Harare International Festival of the Arts (HIFA) ein Stück inszenieren, das die Situationen der Nürnberger Prozesse –(die Akten in deutsch und englisch sind im Institut für Zeitgeschichte zu bekommen?) in einigen problematischen Zeugen-Aussagen als Frage der Zivilcourage beleuchten:
Was haben Sie gesehen, was haben Sie getan, warum haben Sie nicht mehr unternommen? Dilemma von Angst und Verantwortung, Rücksichten, Familie ...
Fragen des bürgerschaftlichen Bewusstseins und der Macht von Obrigkeit oder persönlichem Vorteil und vermeintlichem Schutz der Familie und der eigenen Gruppierung zu Forum-Szenen zuspitzen:
Wo ist jeweils ein anderes Ende der problematischen Situation zu erarbeiten?
Heinar Kipphardt: Bruder Eichmann / Rolf Hochhut: Der Stellvertreter, Jakob der Lügner,
Internationaler Gerichtshof und die USA: Was ist geltendes internationales Recht?
Missbrauch der Menschenrechte als Begründung für Übergriffe: Den Irak von außen demokratisieren oder vor allem die Ölquellen in us-amerikanische Firmen privatisieren?
Bewusstsein um die Versöhnungskommissionen in Südafrika
Die Situation der Bevölkerung in Harare ist unter dem Regime Mugabe, das sich als sozialistisch verstand (wie heute auch noch Fidel’s Cuba und China) sehr ähnlich zugespitzt: In der Hauptstadt sehr viel Opposition, die durch Abriss der Armenviertel aufs Land vertrieben werden soll, auf dem Land herrschen Mugabe’s Leute, auch mit schlägernden und folternden Jugendbanden, gedeckt vom Polizeiapparat.
Harare ist eine Partnerstadt Münchens, die Kontakte können aber wegen Ausser-Dienstsetzung der Stadtregierung nur auf bürgerschaftlicher Ebene gepflegt werden.
Kritische Gestalt für TherapeutInnen?
Wie können Gestalt-Arbeitende zu einer gemeinsamen „Sozialpathologie“ kommen, die sowohl die eigenen wie die Klienten-Erfahrungen zu kritischen Weltsichten versammelt und daraus wieder politische Schritte und Verhaltensweisen ableitet, um in den erkrankten Gesundheitssystemen nicht selbst an der Therapiererei zu erkranken?
Können wir heilsame Zentren des Bewusstseins anbieten, auch für akut Erkrankte und für pädagogisch / therapeutisch Ausgebrannte?
Ausbildungs- und Seminar-Angebote sind da etwas schwierig ...
Radiosendung am 5.12.2005
In der „Gegensprechanlage“ auf Radio Lora 92,4 werden wir Mo 5.12. von 21-22 Uhr ein kollegiales Gespräch dazu führen: Direkte Anrufe sind möglich unter 089-444 09 436.
Die Gegensprechanlage hatte ich als Konzept schon vor einigen Jahren begonnen und damals als offenes Gespräch gegen die vorgefertigten Moderationskonzepte gesetzt. Nun mache ich nur noch gelegentlich diese ehrenamtliche, manchmal doch etwas anstrengende Arbeit, wenn mir ein Thema am Herzen liegt ...
Heilsame Energien gibt es nun in den Naturkostläden reichlich zu kaufen, und in der Advents- und Weihnachtszeit werden wir sie uns gegenseitig schenken und gelegentlich gönnen:
Die heilsame Energie für meinen Geist braucht mehr als nur das persönliche Wohltun, das mir natürlich auch fehlte: Ein Gefühl von Gerechtigkeit, Verstanden sein, Einverständnis zu meiner Unruhe, gemeinsames Bewusstsein zur Unordnung und Veränderbarkeit der Welt, das sich nicht gleich wieder in esotherisches „Aushalten müssen“ oder so ... integrieren muss.
Kritische Gestalt zu unserer Wirklichkeit?
Nun bleibe ich bei meiner offenen Frage, die mich weiter begleiten wird, auch mit dem Gefühl, dass ich diesen Prozess, euch zu schreiben, noch gar nicht abschließen will:
Ich soll und will die Antwort ja auch gar nicht geben, sondern nur den Prozess anstoßen, mich auf den Weg machen und dazu einladen, in Kontakt zu bleiben ...
Literatur
Diverse Gestalt-Bücher, die mir jetzt zu viel sind ... und:
Stefan Blankertz: Gestaltkritik, Paul Goodmans Sozialpathologie in Therapie und Schule, Edition Humanistische Psychologie, Köln 1990
Bernd Bocian: Fritz Perls in Berlin 1893-1933 Expressionismus – Psychoanalyse - Judentum
Paul Goodman: Stossgebete und anderes über mich
Paul Goodman: aufwachsen im widerspruch, über die entfremdung der jugend in der verwalteten welt, verlag darmstädter blätter o.J. (nach 1960)
Sven Hanuschek: "Ich nenne das Wahrheitsfindung", Heinar Kipphardts Dramen und ein Konzept des Dokumentartheaters als Historiographie, Aisthesis-Verlag Bielefeld 1993
Fritz Letsch:... denn Sie wissen nicht, was Liebe ist ... Ketzerbrevier eines Altöttinger Ministranten: Mein Ärger mit der Kirche - Bewusstseinsbildung statt blindem Glauben!
AG SPAK Bücher Neu-Ulm, http://www.leibi.de/spak-buecher
Fritz Letsch: Die Verwandtschaft von Gestalt und Forum-Theater, Ibidem Stuttgart 2004 in:
Helmut Wiegand (Hg): Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch: Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten
Kommentare
Kommentar veröffentlichen